Im Zug passiert

Neulich musste ich wieder mal den Optiker meiner Wahl aufsuchen. Naja, Wahl kann man nicht sagen, habe ich doch erst seit einem Jahr eine Brille und wenn es nicht umsonst wäre, würde ich ihn wahrscheinlich nicht wieder aufsuchen. Zu teuer! Und dann auch keine Filiale mehr in unmittelbarer Nähe.
Wieauchimmer. Eine Stunde mit dem Zug, mit Laptop und Musik, gibt schlimmeres. Die Brille hat er mir gerichtet. Eigentlich nur die Bügel ersetzt. Jedenfalls kann ich jetzt wieder uneingeschränkt sehen.
Die Rückfahrt ist dann ebenso entspannt verlaufen — wenn da nicht mein Fetisch wäre. Der Zug bereits am Bahnhof, von hier startet er immerhin. 15 Minute noch, ich kann mich ja schon mal hineinsetzen. Hier ist es gemütlich, nicht zu heiß, angenehme Garnitur, Steckdose.
Als wir dann endlich losfahren, steigt noch eine junge Frau hinzu und setzt sich auf dem gegenüberliegenden 4er-Platz. Mit E-scooter unterwegs, den muss man ja auch erstmal unterbringen. Jedenfalls ist das der Punkt gewesen, an dem mein Kopf nicht mehr klar denken konnte. Eigentlich hätte ich ja noch was zu tun am Laptop, aber mein Blick ist wie fixiert gewesen. Ihre Vans Old Skool — von unten, von der Seite. Und ich mittendrin in meinem Kopfkino.
Sie hat mich nicht gsehen. Sie hat die ganze Zeit telefoniert. Mit ihrer Freundin über andere Männer, generell, pauschal und so, über ihren Ex und ihren jetzigen Freund, vermutlich, wer weiß das schon.
Wenn man mit mir unterwegs ist und er eine anderen Frau anschaut […]
Es gibt einen Unterschied zwischen anschauen und anschauen.
Dann bekommt er was zu hören!
Sie hat das ziemlich dominant "vorgetragen". Ich schätze sie so auf Mitte 20, ziemlich selbstbewusst und das obwohl sie ein recht stark von Akne geprägtes Gesicht hat.
Ich hab mich ehrlich gesagt ein bisschen so wie ein Hund gefühlt, der auf bestimmte Schlüsselwörter abgerichet ist (oder vielmehr die Tonlage) und sich dabei jedes mal getriggert fühlt. Wir kennen ja alle diese Videos.
Mein Blick ist dabei die ganze Zeit auf ihre Vans fixiert gewesen. Um ehrlich zu sein, habe ich mir insgeheim gewünscht, dass ich in der selben Reihe wie sie gesessen bin. Dann hätte sie es bemerkt, auch wenn ich versuche nicht so offensichtlich dahin zu schauen. Dann hätte sie vlt den ersten Schritt gemacht. Wie auch immer der in so wohl ausschauen hätte sollen. Vermutlich ganz anders als in meinem Kopfkino.
Dabei habe ich mich an die Situation mit dem Mittelfinger erinnert. Damals ist es mir ähnlich ergangen. Dieser innere Konflikt mit sich selber, soll man es wagen oder nicht? Soll man etwas sagen oder nicht? Soll ich sie ansprechen oder nicht? Wie oft habe ich schon solche Gelegenheiten?
Letzten Endes hat mir dann doch der Mut gefehlt. Was hätte ich Sie denn auch fragen sollen und vorallem wie?
Hallo ähm… ich finde dich sehr sympathisch und wollte Dich fragen ob ich Dir vlt. neue Schuhe kaufen darf?
Hallo ähm… ich wollte fragen ob ich mich evtl. nützlich machen darf und …?
Verzeihung, ich wollte fragen ob ich dein Loser sein darf?
Das ist mir dann doch alles sehr creepy vorgekommen. Ich will ihr nicht unangenehm sein, aber gleichzeitig macht sich inzwischen doch wieder das Gefühl breit, es doch nicht getan zu haben.
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